ANDERSEN HANS CHRISTIAN

Title:Der Gärtner und die Herrschaft
Subject:FICTION Scarica il testo


Hans Christian Andersen

Der Gärtner und die Herrschaft


****************


Eine Meile von der Hauptstadt entfernt stand ein altes Schloß mit dicken Mauern, Türmen und gezackten Giebeln.
Hier wohnte, jedoch nur in der Sommerzeit, eine reiche, hochadelige Herrschaft; das Schloß war das beste und schönste von allen Schlössern, die sie besaß. Es stand wie neugegossen von außen da, und drinnen herrschten Traulichkeit und Bequemlichkeit. Das Wappen der Familie war in Stein über dem Tor eingehauen, wunderschöne Rosen schlangen sich um Wappen und Erker, ein ganzer Grasteppich breitete sich vor dem Schlosse aus, und da waren Rotdorn und Weißdorn, da waren seltene Blumen selbst außerhalb des Treibhauses.
Die Herrschaft hatte auch einen tüchtigen Gärtner; es war eine Lust, den Blumengarten, den Obst- und Küchengarten zu sehen. An diesen grenzte noch ein Rest von dem ursprünglichen alten Garten des Schlosses mit Buchsbaumhecken, die so beschnitten waren, daß sie Kronen und Pyramiden bildeten. Hinter diesen standen zwei mächtige alte Bäume; sie waren fast immer blätterlos, und man hätte leicht glauben können, daß ein Sturmwind oder eine Windhose sie mit großen Klumpen Dünger bestreut hätte, aber jeder Klumpen war ein Vogelnest.
Hier baute seit undenkbaren Zeiten eine Schar schreiender Dohlen und Krähen ihre Nester: es war eine ganze Vogelstadt, und die Vögel waren die Herrschaft, die Besitzer, die älteste Familie des Gutes, die eigentliche Herrschaft des Schlosses. Keiner von den Menschen da untern ging sie etwas an, aber sie duldeten diese niedrig gehenden Geschöpfe, obwohl diese zuweilen mit der Flinte knallten, so daß es den Vögeln im Rückgrat kribbelte und jeder Vogel vor Schreck aufflog und schrie: "Rack! Rack!"
Der Gärtner sprach oft mit seiner Herrschaft davon, daß man die alten Bäume fällen sollte, sie sähen nicht gut aus, und wenn sie wegkämen, würde man wahrscheinlich von den schreienden Vögeln befreit werden, die anderswohin fliegen würden. Aber die Herrschaft wollte weder die Bäume noch die Vogelschar entbehren, das war etwas, was das Schloß nicht verlieren durfte, es war etwas aus der alten Zeit, und die sollte man nicht ganz auslöschen.
"Diese Bäume sind nun des Erbgut der Vögel, mögen sie es behalten, mein guter Larsen!"
Der Gärtner hieß Larsen, aber das hat nun weiter nichts zu bedeuten.
"Ist ihr Wirkungskreis nicht groß genug, lieber Larsen? Sie haben doch den ganzen Blumengarten, die Treibhäuser, den Obst- und Küchengarten?"
Das alles hatte er, und er pflegte und hegte es mit Eifer und Tüchtigkeit, und das wurde von der Herrschaft anerkannt, aber sie verhehlten ihm nicht, daß sie bei Fremden oft Früchte aßen und Blumen sahen, die das übertrafen, was sie in ihrem eigenen Garten hatten, und das betrübte den Gärtner, denn er wollte das Beste und tat das Beste. Er hatte ein gutes Herz und verrichtete seine Arbeit gut.
Eines Tages ließ ihn die Herrschaft rufen und sagte in aller Milde und Herrschaftlichkeit, daß sie am vorhergehenden Tage bei vornehmen Freunden eine Art Äpfel und Birnen bekommen hatten, die so saftig und wohlschmeckend waren, daß sie und alle Gäste sich voller Bewunderung geäußert hatten. Die Früchte waren gewiß nicht hier aus dem Lande, aber die sollten eingeführt und hier heimisch werden, wenn unser Klima es erlaubte. Man wußte, daß sie drinnen in der Stadt bei dem ersten Fruchthändler gekauft waren. Der Gärtner sollte in die Stadt reiten und sich danach erkundigen, woher diese Äpfel und Birnen gekommen waren, und dann Pfropfzweige anfordern.
Der Gärtner kannte den Fruchthändler sehr gut, denn gerade an ihn verkaufte er für seine Herrschaft den Überfluß an Obst, der im Schloßgarten wuchs.
Und der Gärtner ritt in die Stadt und fragte den Obsthändler, woher er diese hochgepriesenen Äpfel und Birnen habe.
"Die sind aus Ihrem eigenen Garten!" sagte der Fruchthändler und zeigte ihm sowohl Äpfel wie Birnen, die er wiedererkannte.
Wie sich der Gärtner freute; er eilte zu seiner Herrschaft und erzählte, daß sowohl die Äpfel als auch die Birnen aus ihrem eigenen Garten seine.
Das wollte die Herrschaft gar nicht glauben. "Das ist doch nicht möglich, Larsen! Können Sie ein schriftliches Zeugnis vom Fruchthändler beschaffen?" Und das konnte er, er brachte ein schriftliches Attest.
"Das ist doch sonderbar!" sagte die Herrschaft.
Nun kamen auf den herrschaftlichen Tisch jeden Tag große Schalen mit diesen prächtigen Äpfeln und Birnen aus ihrem eigenen Garten; scheffel- und tonnenweise wurde diese Früchte an Freunde in der Stadt und außerhalb der Stadt gesandt, ja selbst nach dem Auslande. Das war ein wahres Vergnügen! Doch mußten sie hinzufügen, daß es ja auch zwei außergewöhnlich gute Sommer für Baumobst gewesen seien. Dies sei überall im Lande gut geraten.
Es verging eine Weile; die Herrschaft aß eines Mittags bei Hofe. Am Tage darauf wurde der Gärtner zu seiner Herrschaft gerufen. Sie hatten bei Tafel Melonen bekommen, überaus saftvoll, wohlschmeckend, sie waren aus dem Treibhause der Majestäten.
"Sie müssen zum Hofgärtner gehen, lieber Larsen, und uns einige von den Kernen dieser köstlichen Melonen verschaffen!"
"Aber der Hofgärtner hat die Kerne von uns bekommen!" sagte der Gärtner ganz vergnügt.
"Dann hat der Mann verstanden, die Früchte zu einer höheren Entwicklung zu bringen! entgegnete die Herrschaft. "Jede Melone war ausgezeichnet."
"Ja, dann kann ich stolz sein!" sagte der Gärtner. "Ich will der gnädigen Herrschaft nur sagen, daß der Schloßgärtner in diesem Jahre mit seinen Melonen kein Glück gehabt hat, und als er sah, wie prächtig unsere standen, und sie kostete, da bestellte der drei davon fürs Schloß!"
"Larsen, bilden Sie sich doch nicht ein, daß diese Melonen aus unserem Garten waren!"
"Ich glaube es!" sagte der Gärtner, ging zum Schloßgärtner und erhielt von ihm einen schriftlichen Beweis, daß die Melonen auf der königlichen Tafel aus dem Herrschaftsgarten gekommen seien.
Das war wirklich eine Überraschung für die Herrschaft, und sie verschwieg die Geschichte nicht, sie zeigte das Attest vor, ja, es wurden Melonenkerne weit und breit versandt, so wie früher die Pfropfzweige.
Von diesen erhielt man Nachricht, sie hatten angeschlagen, hatten Früchte angesetzt, ganz vorzüglich, und die waren nach dem Schloß der Herrschaft genannt, so daß der Name dadurch setzt auf englisch, französisch und deutsch zu lesen war.
Das hätte man sich doch niemals träumen lassen.
"Wenn nur der Gärtner nicht zu große Ideen von sich bekommt!" sagte die Herrschaft.
Es faßte die Sache ganz anders auf: er wollte jetzt bestrebt sein, seinen Namen als einen der besten Gärtner des Landes zu behaupten, jedes Jahr wollte er versuchen, etwas Vorzügliches von allen Gartenarten zu bringen, und das tat er, aber oft mußte er doch hören, daß die allerersten Früchte, die er gebracht hatte, die Äpfel und die Birnen, eigentlich die besten gewesen seien, alle späteren Arten standen weit zurück. Die Melonen waren ja freilich sehr gut gewesen, aber das war ja auch eine ganz andere Art; die Erdbeeren könnte man ja vortrefflich nennen, aber doch nicht besser als die, die andere Herrschaften hatten, und als die Rettiche in einem Jahre nicht gerieten, sprach man nur von den verunglückten Rettichen und nicht von all dem andern Guten, was das Jahr gebracht hatte.
Es war fast, als ob die Herrschaft eine Erleichterung empfand, wenn sie sagen konnte:
"Dieses Jahr glückte es Ihnen nicht, lieber Larsen!" Sie waren wirklich ganz froh, wenn sie sagen konnten: " Dieses Jahr glückte es nicht!"
Ein paarmal in der Woche brachte der Gärtner frische Blumen ins Zimmer, immer höchst geschmackvoll geordnet. Er setzte die Farben durch die Zusammenstellung gleichsarm in ein stärkeres Licht.
"Sie haben Geschmack, Larsen!" sagte die Herrschaft. "Es ist eine Gabe, die der liebe Gott Ihnen gegeben hat, aus sich selber haben Sie es nicht!"
Eines Tages kam der Gärtner mit einer großen Kristallschale, darin lag ein Wasserrosenblatt; auf dieses war, mit dem langen, dicken Stengel im Wasser, eine strahlende blaue Blume gelegt, so groß wie eine Sonnenblume.
"Hindustans Lotus!" sagte die Herrschaft.
Eine solche Blume hatten sie noch nie gesehen, und sie wurde am Tage in die Sonne und am Abend ins Reflexlicht gestellt. Jeder, der sie sah, fand sie wunderbar schön und selten, ja, das sagte selbst die vornehmste von den jungen Damen des Landes, und das war eine Prinzessin; klug und herzensgut war sie.
Die Herrschaft setzte eine Ehre darein, ihr die Blume zu überreichen, und sie kam mit der Prinzessin auf das Schloß.
Nun ging die Herrschaft in den Garten hinab, um selber eine Blume von derselben Art zu pflücken, wenn noch eine solche da war, aber sie war nicht zu finden.
Dann riefen sie den Gärtner und fragten, woher er die Lotus habe.
"Wir haben vergebens gesucht!" sagten sie. "Wir sind in den Treibhäusern und durch den ganzen Blumengarten gegangen!"
"Nein, da ist sie wirklich auch nicht zu finden!" sagte der Gärtner. "Es ist nur eine geringe Blume aus dem Küchengarten! Aber, nicht war, wie schön sie ist! Sie sieht aus, als sei es ein blauer Kaktus, und ist doch nur die Blüte einer Artischocke!"
"Das hätten Sie uns aber gleich sagen müssen!" sagte die Herrschaft. "Wir mußten glauben, daß es eine fremde seltene Blume sei. Sie haben uns vor der jungen Prinzessin blamiert! Sie sah die Blume bei uns, fand sie so schön, kannte sie nicht, und sie ist doch gut bewandert in der Botanik, ...