GRIMM BRÜDER

Title:Schneewittchen
This text will be replaced
Subject:FICTION
Speaker:Hähnel Nancy
Scarica il testo


Gebrüder Grimm

Schneewittchen

****************************
Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich 'hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.' Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und ward darum das Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig, und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie
“Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?”
so antwortete der Spiegel
“Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.”
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte.
Schneewittchenttchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön wie der klare Tag, und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte
“Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?”
so antwortete er
“Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneewittchenttchen ist tausendmal schöner als Ihr.”
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchenttchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so hasste sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach “bring das Kind hinaus in den Wald, ich will’s nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.” Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach “ach, lieber Jäger, lass mir mein Leben; ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen.” Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleid und sprach “so lauf hin, du armes Kind.”' ‘Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben,' dachte er, und doch wars ihm, als wär ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelig allein, und ward ihm so Angst, dass es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, solange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend werden wollte, da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblein, und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot, und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins passte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war: und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gewesen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach “wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?” Der zweite “wer hat von meinem Tellerchen gegessen?” Der dritte “wer hat von meinem Brötchen genommen?” Der vierte “wer hat von meinem Gemüschen gegessen?” Der fünfte “wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?” Der sechste “wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?” Der siebente “wer hat aus meinem Becherlein getrunken?” Dann sah sich der erste um und sah, dass auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er “wer hat in mein Bettchen getreten?” Die andern kamen gelaufen und riefen “in meinem hat auch jemand gelegen.” Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen, und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. “Ei, du mein Gott! ei, du mein Gott!” riefen sie, “was ist das Kind so schön!” und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum.
Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: “Wie heißt du?” “Ich heiße Schneewittchen,” antwortete es. “Wie bist du in unser Haus gekommen?” sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, dass seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen “willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.” “Ja,” sagte Schneewittchen, “von Herzen gern,” und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung: morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein, da warnten es die guten Zwerglein und sprachen “hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein.”
Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als dass sie wäre wieder die erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach
“Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?”
Da antwortete der Spiegel
“Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
aber Schneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als Ihr.”
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel wahrheit sprach, und merkte, dass der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs Neue, wie sie es umbringen wollte; denn solange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: ”Schöne Ware feil! feil!” Schneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: “Guten Tag, liebe Frau, was habt Ihr zu verkaufen?” “Gute Ware, schöne Ware,” antwortete sie, “Schnürriemen von allen Farben,” und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. ‘Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen,' dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. “Kind,” sprach die Alte, “we du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.” Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, dass dem Schneewittchen der Atem verging, und es für tot hinfiel. “Nun bist du die Schönste gewesen,” sprach sie und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen; und es regte und bewegte sich nicht, als wäre ...